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7. Wirtschaft und Politik


In der Nach-Castro-Ära stellen sich neue Fragen, auf die neue Antworten gesucht werden müssen.

7.1. wirtschaftspolitische Öffnung


Am 19.04.2011 wurde Fidel Castro offiziell von seinem Bruder Raúl als Staatspräsident und Vorsitzender der Kommunistischen Partei Kubas abgelöst, nachdem dieser diese Funktionen bereits wegen Krankheit Fidels seit dem 01.08.2006 kommissarisch ausgeübt hatte. Am 19.04.2018 wurde Miguel Diaz-Canel zum Staatspräsidenten gewählt, Raúl Castro ist noch immer Parteivorsitzender.

Diaz-Canel pflegt einen anderen Politikstil. Während sich die Castro-Brüder auf Propagandafotos stets übergroß präsentierten und das Volk höchstens im Hintergrund vorkam, zeigt sich Diaz-Canel meistens in der Mitte von Bürgern. Auch in Fernsehbildern redet er nicht zu den Menschen, sondern beantwortet ihre Fragen. Auch wenn man davon ausgeht, dass solche Auftritte von der Propaganda gestellt sind und sichergestellt wurde, dass der der Präsident nur überzeugende Antworten geben kann, bleibt die Botschaft, auf das Volk zugehen zu wollen. Gleichzeitig soll ein Gorbatschow-Effekt, also ein Zusammenbruch des Systems mit zu schnellen Reformen, verhindert werden. Natürlich kann man der politischen Führung nicht ernsthaft empfehlen, der Perestroika zu folgen und politischen Selbstmord zu begehen.

Andererseits ist der Modernisierungsbedarf in der Wirtschaft offensichtlich. Die spannende Frage ist, wie diese notwendige Modernisierung organisiert werden soll. Mit der Öffnung der Wirtschaft für private Kleinunternehmen wurden seit 2010 vorsichtige Schritte in Richtung Marktwirtschaft unternommen. Heute zählt der kleine Privatsektor rund 600.000 Beschäftigte und kann immerhin rund 15 % der Steuereinnahmen beitragen. Alternative Konzepte für eine Modernisierung der Planwirtschaft sind nicht erkennbar. Die Angst vor einem Gorbatschow-Effekt dürfte das scheinbar widersprüchliche Verhalten der politischen Führung erklären.

7.2. bürokratische Behinderung


Die Vorbereitung des Projekts hat sich mit einer Gesetzesänderung überschnitten. Mit Wirkung vom 7. Dezember 2018 wurde die Regelungen für die selbständige Arbeit in Kuba geändert, was besonders die Kurzzeitvermietungen, gastronomische Dienstleistungen und das Transportwesen betraf. Sie haben die Kleinunternehmer stark verunsichert. Anbieter gastronomischer Dienstleistungen in Cafeterias und Restaurants, Bar- und Erholungsdiensten, Vermieter von Häusern, Zimmern und Räumen sowie Baudienstleister müssen ein Steuerbankkonto führen und dort ein Guthaben von 2 Monatsumsätzen unterhalten. Für die Einzahlung wurde eine Frist von 90 Tagen eingeräumt. Betriebsausgaben werden nur anerkannt, wenn sie von dem Konto überwiesen werden. Allerdings hat kaum jemand ein Bankkonto.

Der Maßnahme dürfte die wohl nicht falsche staatliche Einschätzung zugrunde liegen, dass ein großer Teil der in bar eingenommenen Umsätze nicht als Betriebseinnahmen angegeben werden. Davon können dann Betriebsausgaben beglichen werden, deren Empfänger keine Quittung darüber ausstellen. Der Einführung ging eine Pressekampagne in der Parteizeitung „Granma“ voraus, in der die Lücken in den Aufzeichnungen der Kleinunternehmer kritisiert wurden. Einige Wirtschaftsprofessoren wollen die Aufmerksamkeit auf die Frage ablenken, wie man den Cuentapropistas bei der Erfüllung ihrer Aufgaben helfen könne, statt sie einzuschüchtern und zu gängeln. Sie sind in keiner Weise systemkritisch. Sie schätzen aber realistisch ein, dass zusätzlicher Druck neue Ausweichreaktionen provoziert und das politische Ziel nicht erreicht wird, sofern es nicht ohnehin vorgeschoben war. Angesichts des in den letzten 30 Jahren entwickelten Improvisationsvermögens der Kubaner schätzten sie ein, dass die Maßnahmen auch aus Sicht der Regierung mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften.

Die Maßnahme kann das offizielle Ziel der Eindämmung der Schattenwirtschaft also gar nicht erreichen. Sie kann lediglich dazu beitragen, dass sich die Banken aus den Pflichteinlagen der Kleinunternehmer finanzieren und damit Kredite an Staatsunternehmen vergeben können. Auch gibt es Gerüchte über eine bevorstehende Währungsreform. Anders als im Januar gibt es Schlangen vor den Banken und Cadecas (casa de cambio - Wechselstuben). Die Kubaner tauschen ihre Geldreserven in Dollar oder Euro, weil sie eine Abwertung des CUP/CUC fürchten. Die Verpflichtung zur Führung eines Bankguthabens in CUC zwingt die Kleinunternehmer, ihre Geldreserven diesem Abwertungsrisiko auszusetzen, sie behindert die Möglichkeit für Investitionen und führt zu erheblichem Misstrauen der Kleinunternehmer in die Politik. 

Die Durchführung des Projekts wurde von kubanischer Seite stark behindert. Die Einschätzung kubanischer Kolleginnen und Kollegen, der Verfasser solle sein Vorhaben bei einem Vorbereitungsbesuch im Büro für internationale Beziehungen in ihrer Begleitung vorstellen und man würde ihm die nötige Bescheinigung für ein Wissenschaftsvisum ausstellen, hat sich nicht bewahrheitet. Die hauptamtliche Leiterin des Auslandsamtes war nicht erreichbar. Die akademische Direktorin für internationale Beziehungen sah das Problem, dass die Cuentapropistas dem Arbeitsministerium unterstehen und die Universität auch für die passive Unterstützung von ausländischen Forschungen auf diesem Gebiet dort eine Genehmigung beantragen müsse. Dafür musste noch eine Bescheinigung der Hochschule Mainz eingeholt werden.

Die Genehmigung wurde aber offensichtlich nicht erteilt. Stattdessen wurden die beiden Kollegen, die den Verfasser in der Universität begleiteten und den Auslandskontakt als karrierefördernd ansahen, nach dem Ende des Vorbereitungsbesuchs von der Staatssicherheit befragt. Darauf beendeten sie ihre Unterstützung. Zwei ältere Kollegen, die von Anfang an in der Deckung geblieben sind und für ihre Kommunikation auch nur private e-mail-Adressen und andere Umwege verwendeten, setzten die Kommunikation auf konspirativem Weg fort. Mindestens einer von ihnen hatte offensichtlich das Ziel, dass eine ausländische Veröffentlichung mit seinen Einschätzungen zu den kubanischen Cuentapropistas im Internet erscheinen solle, die er und Kollegen dann in eigenen Veröffentlichungen ausgiebig zitieren könnten. Damit hätte er die Genehmigungspflicht für eine eigene Forschung auf diesem Gebiet umgangen.

Der ursprüngliche Plan, dass nach dem Vorbereitungsbesuch zunächst Musterdateien in der spanischen Fassung von Open Office für die Kleinunternehmer zu entwickeln und sie nach ihren ersten Erfahrungen damit in einem langen Aufenthalt von 12 Wochen intensiv zu beraten und die Anwendererfahrungen dabei auch für die Verbesserung der Dateien zu nutzten, konnte in dieser Form nicht mehr umgesetzt werden. Die Musterdateien wurden zwar auf den Unterseiten der Website https://mueller-consulting.jimdo.com/investigación/ayuda erläutert und auf https://www.noteninflation.de/cuba im ods-Format zum Download angeboten. Eine ständige Begleitung der Anwender konnte aber wegen der fehlenden Bescheinigung der Universität für ein Wissenschaftsvisum und wegen des dadurch unmöglichen Langzeitaufenthalts nicht organisiert werden.

Die kubanischen Professoren sahen sich mit dem Problem konfrontiert, dass sie als Bedienstete staatlicher Universitäten Teil des Systems sind, und die Kleinunternehmer auch ihnen mit Misstrauen begegnen. Aus diesen Motiven hatte der kubanische Kollege ein Projekt eines ausländischen Wissenschaftlers befürwortet, der ohne Regierungsnähe offene Gespräche hätte führen können. Das hätte aber einen längeren Aufenthalt und ein Wissenschaftsvisum erfordert. Die fehlende Kooperationsbereitschaft der Hochschulleitung war vielleicht auch in die politische Entscheidung eingebettet, dass nach der Einführung der Verschärfungen die Diskussion beendet werden sollte. Trotzdem war ein Teil von ihnen bereit, den Kontakt konspirativ fortzusetzen und für den Fall des erwarteten Scheiterns der Politik mit der Internetveröffentlichung des Verfassers schnell eine Alternativlösung vorschlagen zu können.

Die Kleinunternehmer waren nach der Verschärfung vom 07.12.18 auch dem Ausländer gegenüber nicht mehr zur Gewährung eines umfassenden Einblicks in ihr Unternehmen bereit. Gleichzeitig waren sie aber an Anregungen zur Verbesserung ihrer betrieblichen Abläufe mit den Musterdateien interessiert. Mit den Download-Angeboten wurde hierfür ein Weg geschaffen. Die Klick-Zahlen lassen vermuten, dass die URLs weiterverbreitet wurden und die Dateien auch von Cuentapropistas heruntergeladen wurden, mit denen vorher kein Kontakt hergestellt wurde. Auch waren sie an der kostenlosen Software von Open Office und einer Einweisung in die Tabellenkalkulation und Textverarbeitung interessiert.

Bei einem zweiten Besuch hat der Verfasser einem Rat der kubanischen Kollegen folgend einen Aufenthalt in einer all-inclusive-Hotelanlage in der Nachbarprovinz gebucht. Die Sorge schien nicht unbegründet, denn Informationssystem an der Grenze waren offensichtlich gezielte Fragen zum Reisezweck hinterlegt. Der große Reiseveranstalter und die Furcht, Aufsehen zu erregen, dürften die Passkontrolleure dann aber von einer Verweigerung der Einreise abgehalten haben.
 
Vorsichtshalber ging der Verfasser davon aus, dass er auch in der Hotelanlage beobachtet wurde. Die Feedbacks der Kleinunternehmer konnten jetzt nur noch bei konspirativen Treffen außerhalb ihrer Unternehmen während touristischer Ausflüge erfolgen. Die geringe Verkehrsdichte machte die Feststellung, dass der Verfasser nicht verfolgt wurde, allerdings leicht. Genauere Aussagen unterbleiben hier aus nachvollziehbaren Gründen.

7.3. Erfahrungen teilnehmender Kleinunternehmen


Insgesamt sind 123 Tätigkeiten zur selbständigen Erwerbstätigkeit zugelassen, von denen 52 der vereinfachten Regelung und 71 der allgemeinen Regelung unterliegen. Kleinunternehmer benötigen eine ausdrückliche Lizenz.

Während des Vorbereitungsbesuchs wurden Kontakte zu zwei Restaurants, zwei Einzelhändler, zwei Taxiunternehmer, einem Handwerker, einem Großhändler (formal Einzelhändler, der aber an andere Unternehmer verkauft) und einer Pension (Zimmervermietung für Touristen) hergestellt. Nach Auftreten der bürokratischen Schwierigkeiten musste die Suche nach weiteren Unternehmern eingestellt werden, so dass die Zielmarke von 20 Kleinunternehmern nicht erreicht wurde.

Von den 9 Teilnehmern hatten 6 einen Computer – die anderen haben sich einen zugelegt, aber nur 3 hatten schon vorher eine Tabellenkalkulation im Einsatz; die Möglichkeit zum kostenlosen Download von Open Office war den Übrigen unbekannt. Keiner der Teilnehmer war in der Lage, die Vorlagen aus eigener Kraft an seine Bedürfnisse anzupassen. Hier wurden noch Grundlagen gelegt. 

Wegen der Verschärfung der Vorschriften gingen die Fragen der Teilnehmer auch in eine Richtung, wie Trennung der Buchführung in einen offiziellen Teil für die Steuererklärung und einen verdeckten Teil auf einem separaten Datenträger für die Deckung der Barausgaben organisiert werden könnte. Das politische Ziel, das mit der Neuregelung verbunden wurde, durfte deshalb wohl nicht erreicht worden sein. Von den Cuentapropistas wurde das Potential erkannt, dass eine Micro-SD-Karte aus einem Tablet-Computer viel Informationen aufnehmen und leicht versteckt werden kann. Die in diesem Zusammenhang angesprochenen Fragen sind allerdings nicht Gegenstand der wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbücher, auch wenn dem Verfasser solchen Themen aus der betrieblichen Praxis während seiner Tätigkeit vor der Professur nicht völlig fremd waren. Sie wurden trotzdem nicht in die fachliche Abhandlung des Kapitels 6 aufgenommen.

Die Teilnehmer haben übereinstimmend ausgesagt, dass die angebotenen Vorlagen ihre Anforderungen ausreichend abbilden würden. Teile würden nicht gebraucht; zusätzliche Wünsche (mit Ausnahme der schwarzen Kassen) habe man nicht. 

Weil der junge und ehrgeizige Informatik-Professor nach dem Besuch der Staatssicherheit vom Projekt abgesprungen ist, wurde die Möglichkeit eines Uploads nicht erprobt. Ein mit einer Datenimportfunktion einer veralteten deutschen Finanzbuchhaltung simulierter Upload war wegen der fehlenden Voraussetzung für ein Wissenschaftsvisum nicht möglich. Auch hätte man den Kleinunternehmern nicht zumuten können, dass sie mittelbar in die Beobachtung durch die Staatssicherheit geraten wären.

Alternativ zum Upload hätten eine Bilanz, GuV und Kapitalflussrechnung auch mittels Dateireferenz mit den Tabellen für das operative Geschäft erzeugt werden können. Weil sich die Kleinunternehmer aber nur an den steuerlichen Regelungen orientieren, gab es dieses Bedürfnis nicht. Eine solche Datei könnte auch sehr leicht in einen offiziellen und einen verdeckten Teil der Geschäfte getrennt werden, die man dann in der Auswertung des verdeckten Teils zu einer Auswertung des gesamten Unternehmens konsolidieren könnte. Um die kubanischen Behörden aber nicht weiter zu provozieren wurde auf eine Ausarbeitung dieser Idee verzichtet.

Dagegen hätte die Idee des jungen Informatik-Professors, ein Open-ERP zu entwickeln, in das die Cuentapropistas ihre Daten hätten hochladen können, die eben angesprochenen Möglichkeiten blockiert, denn die Zusammenführung der Daten hätte sich der Kontrolle der Cuentapropistas entzogen. Die Entwicklung eines kubanischen Open ERP mit der möglichen Einführung einer Verpflichtung für die Kleinunternehmer, dieses System zu nutzen, hätte dann einen größeren Beitrag zum Eindämmung der Schattenwirtschaft geleistet als undifferenzierter politischer Druck.

Zusammenfassend und vielleicht versöhnend kann hierzu festgestellt werden, dass der Staat den Kleinunternehmern misstraut, und die Kleinunternehmer dem Staat. Sie fürchten die Kontrolle des Staates und verzichten deshalb bewusst auf eine aussagefähige Buchhaltung. Diese Haltung ist aber kurzsichtig, denn: „Wer nicht gut sehen kann, sollte kein Auto fahren! Wer kein Rechnungswesen hat sollte kein Unternehmen führen! Beide fahren die Karre gegen die Wand!“

Andererseits sind die aufkommende Ungleichheit und der schwer erklärbare Reichtum einiger Kubaner ein triftiger Grund, Misstrauen zu entwickeln. Die weit verbreitete Meinung in der einfachen Bevölkerung, dass dies nicht mit rechten Dingen zugehen könne, setzt die Regierung unter Druck. Der Generalverdacht gegen Kleinunternehmer ist aber wohl unberechtigt, auch wenn phantasievolle Gestaltungen als Antwort auf die Bürokratie weit verbreitet sind.

Der Ausweg könnte in einem gegenseitigen Nachgeben liegen. Der Staat sollte mit einer Entbürokratisierung des Privatsektors beginnen und den Kleinunternehmern einen Vertrauensvorschuss entgegenbringen. Andererseits sollte aber auch ein Open-ERP aufgebaut und von einer Nicht-Regierungsorganisation betrieben werden, das auf den Vorschlägen des Verfassers in diesem Buch aufbauen kann. Die Kleinunternehmer müssten dann zu einer Teilnahme verpflichtet werden. Die Kontrolle durch die Behörden sollten sich aber auf Stichproben beschränken. Damit würde ein System aus Buchführungspflicht und steuerlichen Betriebsprüfungen geschaffen, wie es international üblich ist. Die Verschleierung von Einkünften wäre schwieriger, aber nie ganz ausgeschlossen. Die Kleinunternehmer würden in ihrer Unternehmensführung unterstützt und könnten längerfristig höhere Einkünfte erzielen, was dann auch zu einer Erhöhung der Steuereinnahmen führen würde.

7.4. Desorganisation


Die Verbesserung der Betriebsorganisation ist kein exklusives Anliegen der Kleinunternehmen. In einem offensichtlich staatlichen Geschäft (auch wenn die Preise in CUC ausgezeichnet waren) wurde nur eine sehr begrenzte Anzahl von Kunden in das Geschäft gelassen. Weitere Kunden durften das Geschäft erst betreten, wenn andere Kunden es verlassen hatten. So bildete sich eine sozialistische Wartegemeinschaft vor dem Eingang und die Kunden haben ihren Aufenthalt später angesichts der vorherigen Wartezeit länger ausgedehnt, was die Schlange weiter verlängerte. Einige Wartende haben die Schlange auch wieder verlassen. Das Geschäft war groß genug und mit ausreichend Personal ausgestattet, um alle Kunden, die sich ohnehin zunächst selbst umsehen wollten, fast gleichzeitig hineinlassen und bedienen zu können. Diese Ablauforganisation war eine Verkaufsverhinderung, und keine Verkaufsförderung. 

In der all-inclusive-Anlage, in der der Verfasser während des zweiten Besuches gewohnt hat, ließen sich auch einige unwirtschaftliche Strukturen beobachten. Am Eingang hängt ein goldenes Schild: „Eigentum von Cubanacan“, also des staatlichen Tourismusunternehmens. Der Eigentümer kümmert sich aber nicht ausreichend um die Erhaltung und Vermehrung seines Eigentums.

Abb. 103: Logo des Hotels und der Gruppe cubanacan

(Quelle: https://www.cubanacan.cu/en/hotelview/carisol-los-corales)


Bei dem Club Amigo Carisol - Los Corales in Playa Cazonal handelt es sich um ein Doppelhotel aus Carisol und Los Corales. Das Hotel Carisol ist allerdings geschlossen und das Hotel Los Corales hat nach eigenen Angaben 144 Doppelzimmer und 28 Bungalow-Wohnungen. Das geschlossene Nachbarhotel hat 120 Doppelzimmer und 46 Junior-Suiten. Auf dem Gelände von Los Corales stehen noch zwei viergeschossige Bauten mit je 36 Apartments im Rohbau. Nach der Aussage einer Angestellten, die seit 22 Jahren in dem Hotel arbeitet, ist die Anlage etwa 30 Jahre alt und die beiden Rohbauten sind seit dieser Zeit vorhanden. Nach der Vollendung der Apartments - wenn es der bauliche Zustand nach 30 Jahren noch zulassen sollte - und einer Renovierung des Hotels Carisol würden also 968 Plätze verfügbar sein. Dann würde es allerdings sehr voll werden und vorhandene Erweiterungsflächen müssten genutzt werden.

Es befanden sich aber nur ca. 30-40 Gäste in dem Hotel, davon ca. 80 % Kubaner. Bei dieser Auslastung lässt sich das Hotel nicht wirtschaftlich betreiben. Trotzdem war die Personalstärke offenbar an eine Auslastung von vielleicht 80 % statt an 10 % bemessen. So waren die eigenen Angestellten auch die häufigsten Gäste an den Hotelbars. Weil das Hotel auch die in den Katalogen angepriesene Abendunterhaltung liefern mussten, wurden Darbietungen von außen eingekauft, die dann vor fast leeren Tischen aufgeführt wurden. Die offensichtlich katastrophalen wirtschaftlichen Ergebnisse scheinen niemanden interessiert zu haben. Vielleicht werden die Entscheidungsträger noch nicht einmal darüber informiert. Welche regelmäßigen Auswertungen wem vorgelegt werden, kann der Verfasser natürlich nicht wissen. Es handelt sich aber auch um eine Holschuld der Unternehmensführung. Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen hätte die Anlage vollständig schließen müssen.

Dabei ist diese schlechte Auslastung und besonders das Fehlen ausländischer Gäste völlig unverständlich. Das Hotel liegt 46 km östlich von Santiago de Cuba. Die meisten Touristen wünschen sich im Urlaub Abwechslung. Eine Kulturreise mit engem Besichtigungsplan ist vielen zu anstrengend und ein reiner Strandurlaub zu langweilig. Das Hotel könnte diese Marktlücke ausfüllen. Ein Shuttle-Service, der den Gästen Tagesausflüge in das touristisch interessante Santiago erlauben würde, könnte sogar fast ohne zusätzliche Kosten eingerichtet werden. Das Hotel hat einen Bustransfer aus Santiago für seine Beschäftigten organisiert. Die Frühschicht wird um 5.00 Uhr aus den Wohngebieten abgeholt. Für die Abholung der Spätschicht, die um 14.00 Uhr ihre Arbeit beginnt, muss eine Leerfahrt durchgeführt werden. Das gleiche gilt für die Heimfahrt der Frühschicht. Wenn die Leerfahrt nach Santiago etwa um 9.30 Uhr und die Leerfahrt aus Santiago etwa um 16.30 Uhr durchgeführt würde, könnten hierbei etwa 50 Touristen nach Santiago gebracht und wieder abgeholt werden. Dafür könnte auch ein geringer Fahrpreis verlangt werden. Der geringere Komfort der einheimischen Busse würde die Touristen, die das Land kennenlernen wollen, nicht stören. 50 Tagestouristen würden das Stadtbild von Santiago auch nicht verändern.

Derzeit müssen die Gäste ein Auto für ca. 100 CUC pro Tag mieten oder telefonisch ein Taxi aus Santiago bestellen, was unter Berücksichtigung der Rückfahrt noch etwas billiger ist. Die günstigere Variante, sich für 30 CUC am Tag ein Motorrad zu mieten, erfordert angesichts des schlechten Zustands der Straßen viel Motorrad-Fahrpraxis und ist für reine Autofahrer nicht zu empfehlen. Deshalb finden solche Tagesausflüge kaum statt. Auch sonst sieht man kaum Touristen im Stadtbild von Santiago. 

Dass solche Marketing-Konzepte bisher nicht entwickelt wurden, könnte am Desinteresse der Unternehmensleitung von Cubanacan liegen. Die Tourismusdienstleistungen werden von der Angebotsseite und nicht von der Nachfrageseite gedacht. Aus der Mangellage des eigenen Landes ist man es gewohnt, dass alle Produkte gekauft werden. Die Analyse von Kundenwünschen ist man nicht gewohnt. Auf fehlende Nachfrage wird mit Unverständnis reagiert, aber nicht mit einem veränderten Angebot.

Es könnte aber auch eine politische Intervention vorliegen. Nach Internetforen soll es den Shuttle-Service geben, der aber vor-Ort unbekannt ist. Die bereits zitierte langjährige Mitarbeiterin hat sich aber erinnert, dass vor ein paar Jahren ein kanadischer Reiseveranstalter einen solchen Service für seine Gäste angeboten hatte. Es kann spekuliert werden, dass diese Aktivitäten politisch unerwünscht gewesen sein können. Das Geld der Touristen ist erwünscht, Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung sind es aber nicht.

Das Ergebnis ist aber bei beiden Erklärungsansätzen das gleiche. Vor 30 Jahren wurde viel Geld in eine Ferienanlage investiert, die Gewinne erwirtschaften könnte, die derzeit aber wohl nur Verluste macht und die man langsam verfallen lässt. Damit wird das Vermögen des kubanischen Volkes, das von der volkseigenen Cubanacan nur treuhänderisch für das Volk verwaltet werden sollte, verschwendet. Wenn dies sogar in dem strategisch wichtigen Tourismussektor passiert, dann kann eine ähnliche Misswirtschaft auch in anderen Staatsbetrieben vermutet werden. Die Gründe dafür können nicht plausibel mit der Blockade der USA erklärt werden; sie sind hausgemacht.
 

7.5. Versorgungskrise und Helms-Burton-Act


In einem Bericht über ein Forschungsprojekt in Kuba sollten die aktuellen Ereignisse während dieser Zeit nicht ausgeblendet werden.

Auf https://www.tagesschau.de/ausland/kuba-rationen-lebensmittel-101.html wurde am 11.05.19 berichtet, dass Lebensmittel und Hygieneartikel rationiert worden sein, Die Maßnahme sei von offiziellen kubanischen Stellen mit der Verschärfung des US-Embargos erklärt worden, während die zitierte Quelle die Ursache in reduzierten Öllieferungen aus Venezuela wegen der dortigen ökonomischen und politischen Krise sah.

Zum Hintergrund dieser Meldung ist zunächst die Versorgung der Bevölkerung zu erklären. Kuba hat zwei Währungen, den Peso Cubano (CUP) und den Peso Convertible (CUC). Die Gehälter und Renten werden in CUP gezahlt. Der CUC eintspricht einem US-Dollar (USD). In den Banken kann der CUC für 25 CUP gekauft und für 24 CUP verkauft werden. Für die Grundversorgung wird ein Gutscheinheft (libreta) ausgegeben, mit dem begrenzte Mengen von Gütern des täglichen Bedarfs zu geringen Preisen gekauft werden können. So wird für ein kleines Brot 0,05 CUP verlangt. Außerhalb der libreta wird dieses Brot für 1 CUP (4 US-Cent) und ein anderes Weißbrot, äußerlich vergleichbar mit einem Baguette und nicht mit der libreta zu beziehen, für 3 CUP (12,5 US-Cent) verkauft. Die beziehbaren Mengen sind ausreichend. Die Rationierung bedeutet eine Streichung der Verkäufe gegen CUP außerhalb der libreta.

Daneben gibt es Geschäfte, in denen andere Waren gegen CUC oder einen entsprechenden Betrag in CUP gekauft werden. Hier liegen die Preise häufig sogar über denen in Deutschland. In diesen Geschäften hat sich das Angebot verringert. Bei Monatslöhnen von 500 bis 1.000 CUP erfordern Einkäufe in diesen Geschäften aber auch eine zusätzliche Einkunftsquelle. Das gilt erst recht für den Besuch der in Abschnitt 7.3 erwähnten all-inclusive-Anlage, die lt. Internet-Seite 2-3 kubanische Monatslöhne pro Tag verlangt; bei Neckermann kostete ein Tag nur ein Drittel. Daraus lässt sich vermuten, dass einige Kubaner über erhebliche Nebeneinkünfte verfügen dürften, sei es aus der Schattenwirtschaft oder der Korruption.

Im Dezember 2018 machte sich zuerst die Knappheit von Lebensmitteln und Produkten des täglichen Bedarfs wie Mehl, Speiseöl, Eiern und Brot bemerkbar. Trotz zwischenzeitlicher Verbesserungen, durch den Kauf neuer Maschinen für die Lebensmittelindustrie und zusätzlichen Importverträgen, hat sich die Lage im Einzelhandel insgesamt weiter verschlechtert. Das Produktsortiment in den Devisenläden ist stark ausgedünnt, während die Konsumenten auf den Bauernmärkten mit steigenden Preisen zu kämpfen haben. Die wichtigste deutsche Nachrichtensendung zitierte am 08.07.19 einen jungen Mann aus Holguín: "In den letzten vier Monaten ist das Leben in Kuba noch viel schwieriger geworden. Es gibt einfach keine Lebensmittel mehr. Auch nicht für Geld. Die Türen, ein eigenes Geschäft aufzubauen, haben sich geschlossen. Ich reparierte Mobiltelefone, aber wegen der hohen Steuern musste ich meinen Laden schließen." (https://www.tagesschau.de/ausland/mexiko-kuba-ausreise-101.html)

Die kubanische Volkswirtschaft ist aufgrund ihres hohen Importbedarfs (allein bei den Lebensmitteln müssen rund 70 Prozent des inländischen Verbrauchs eingeführt werden) strukturell anfällig für Schwankungen bei den Weltmarktpreisen und im Fall von internationalen Sanktionen, welche die Kosten für Einfuhren und die Zinsraten für Handelskredite signifikant in die Höhe treiben. Nach den aktuellen Sanktionen gegen Venezuela, welche sich auch gegen mehrere maritime Transportdienstleister richteten, die Öl nach Kuba liefern, hat sich die Lage weiter angespannt.

Am 02.05.19 hat der US-Präsident das dritte Kapitel der „Helms-Burton-Gesetze“ aus dem Jahr 1996 in Kraft gesetzt, das seine Vorgänger zwar unterschrieben, aber wegen Verstößen gegen das Völkerrecht ausgesetzt hatten. Damit sind seit Anfang Mai 2019 gerichtliche Auseinandersetzungen über von der kubanischen Revolution enteignete Güter in den USA möglich. Zudem wurde das Limit für Geldsendungen an Familien halbiert und der Tourismus für US-Bürger weiter eingeschränkt.

Abschnitt I des Gesetzes enthält Maßnahmen zur Verschärfung des Wirtschaftsembargos sowie ein Verbot indirekter Finanzierung zugunsten Kubas, Abschnitt II definiert vom kubanischen Staat zu erfüllende Mindestanforderungen vor Aufhebung des Embargos. Abschnitt III gibt US-Bürgern (auch eingebürgerten) das Recht, ausländische Firmen vor US-Gerichten wegen der Nutzung nach der Revolution enteigneten Eigentums zu verklagen. Abschnitt IV ermächtigt den Außenminister, an Enteignungen vom Eigentum von US-Bürgern auf Kuba beteiligte oder von ihnen profitierende Ausländer vom Aufenthalt in den USA auszuschließen.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass die kubanische Bevölkerung immer wieder Wege findet, den auftretenden Problemen zu begegnen und auch Forderungen ihrer Regierung zu umgehen, die Regierung aber nicht zu einer gleichwertigen Kreativität in der Lage ist. Das Helms-Burton-Gesetz wurde an der damaligen Regierung vorbei von einem Senator und einem Abgeordneten des Repräsentantenhauses formuliert, um populistische Stimmungen zu bedienen. Es gibt durchaus Möglichkeiten dieses Gesetz zu umgehen. Jede Umgehung eines Embargos erfolgt nach folgendem Grundmuster:

Abb. 104: Umgehung eines Embargos

(Quelle: eigene Darstellung)


Die Beziehung (1) zwischen A und D wird durch ein Embargo unterbrochen. Als Ausweichreaktion nimmt A die Beziehung (2) zu B auf. Der Inhalt der Beziehung (1) wird jetzt mit der Beziehung (3) in einem Land erbracht, für das das Embargo nicht gilt. D leitet den Inhalt der Beziehung (1) mit der Beziehung (4) an D weiter. Während die Beziehungen (2) und (4) offen unterhalten werden, muss die Beziehung (3) sorgfältig verdeckt werden. Die Beziehungen (2) und (4) sind als normale Geschäftsbeziehungen zu gestalten, damit keine Anhaltspunkte zu erkennen sind, wo genau nach der Beziehung (3) zu suchen ist. Aus verständlichen Gründen sollen an dieser Stelle keine weiteren Gedanken dargelegt werden.

Das Hauptproblem ist aber nicht das Gesetz selbst, sondern die Unberechenbarkeit der US-amerikanischen Justiz. Inzwischen stellt jedes wirtschaftliche Engagement ausländischer Unternehmen in den USA ein hohes wirtschaftliches Risiko dar. Die immer wieder angeführte Attraktivität des US-amerikanischen Marktes kann es nur dann geben, wenn dort höhere Gewinne gemacht werden können als z.B. in Europa und damit die Verbraucher der USA über höhere Preise die Kosten ihres irrsinnigen Rechtssystems tragen.

Aber nicht nur die Justiz der USA ist unberechenbar, sondern auch ihre jetzige Regierung, und die Wähler in den USA! Nicht nur die Embargo-Politik der USA gegen Kuba, sondern auch gegen Iran wird von der übrigen Welt missbilligt. Instrumente zur Umgehung des Helms-Burton-Gesetzes könnten auch für den Handel mit dem Iran eingesetzt werden.

Langfristig sollte die Welt, insbesondere Europa, Russland und China, eine Weltwirtschaft ohne die USA und den US-Dollar organisieren, z.B. mit dem Euro als Weltreserve- und Leitwährung oder einem internationalen Währungssystem mit einer Recheneinheit, ähnlich dem ECU vor der Einführung des Euro und ohne Embargos gegen den Iran und Kuba. Die kubanische Regierung könnte hierfür nur Ideen entwickeln und sie mit den Regierungen Russlands und Chinas besprechen. Sie müssten durch ihre Qualität überzeugen; ansonsten wäre Kuba nur Zuschauer. 

Dann würde aber auch die billige Erklärung entfallen, mit der auch von hausgemachten wirtschaftlichen Problemen abgelenkt wird. Gerade wenn die kubanische Regierung keinen politischen Selbstmord begehen will, muss sie bereits jetzt ihre Wirtschaft modernisieren und effektiver organisieren.

7.6. zusammenfassende Kritik


Es ist traurig, dass auch regierungstreue Kollegen für ihre sachliche und konstruktive Kritik ein ausländisches Sprachrohr brauchen. Jede Regierung sollte kritische Meinungsäußerungen zunächst unvoreingenommen prüfen, bevor sie als staatsfeindlich eingestuft werden. Das gilt auch für Staaten mit Demokratiedefiziten. Eine pauschale Beantwortung von Kritik mit Repression ist ein Indiz für Verfolgungswahn.

Man kann diese staatstragend Kritik der regierungstreuen kubanischen Professoren in folgende 5 Punkte zusammenfassen:

Die Maßnahmen ab dem 07.12.18 sind zur Erreichung des offiziellen Zieles ungeeignet. Geeignete Maßnahmen werden in dem Bericht vorgeschlagen. Der Druck auf die Privatunternehmen muss aufhören.

Besonders in Staatsbetrieben gibt es eine Vielzahl von unwirtschaftlichen Strukturen. Die sozialistische Wirtschaft braucht eine durchgreifende Verbesserung der Organisation und wirtschaftlich leistungsfähige Strukturen, ohne dass dabei der Sozialismus selbst in Frage gestellt werden soll. Eine schlecht organisierte Wirtschaft ist aber eine Verschwendung von Volksvermögen.

Die Kleinunternehmer sollten eine regierungsunabhängige Berufsorganisation zur praktischen Unterstützung gründen, die auch ein OPEN-ERP betreiben sollte. Die Staatsbetriebe sollten es ebenfalls nutzen. Die Berufsorganisation sollte ein wissenschaftliches Institut an einer Universität bekommen, das die Verfahren ständig verbessert.

Die Versorgung der Bevölkerung muss sich wie im Marketing an den Wünschen der Kunden orientieren. Zu oft werden astronomisch hohe Preise verlangt, die niemand bezahlen kann. Eine nur symbolische Versorgung mit Produkten, die dann niemand kaufen kann, nützt niemandem.

Die Regierung sollte sich nicht darauf beschränken, die Blockade der USA politisch zu kritisieren. Es müssen wirksame Maßnahmen entwickelt werden, die Blockade zu umgehen und die Lage der Bevölkerung damit zu verbessern.